Die Qualität der asana im Yoga - Eine Reise zur inneren Ausrichtung

Text: Lisa Crone

Als ich das erste Mal in einer Yogastunde bei der Lehrerin war, bei der ich später auch meine Ausbildung gemacht habe, war ich körperlich kaum gefordert. Ich war Tänzerin, beweglich, trainiert und hatte kaum Mühe die einzelnen Körperübungen (asana) auszuführen. Im ersten Moment war mir die Yogastunde zu leicht und während dem längeren Sitzen in der Stille, hatte ich die berühmten Hummeln im Hintern.

 

Gleichzeitig berührte mich etwas, was ich in anderen Yogakursen bis dahin noch nicht erfahren hatte. Die feinen und achtsamen Anleitungen hatten Tiefe. Neu für mich war, dass es nicht darum ging, wie gut ich eine Übung ausführte und ob ich das Maximum dabei herausholte, sondern wie ich mich selbst in der Körperhaltung erlebte. Es ging darum, wie mein Atem floss, wie ich den Boden unter meinen Füßen spürte, wie sich meine Muskeln an- und entspannten, wie sich meine Arme im Raum bewegten und dabei der sanfte Luftzug auf der Haut spürbar wurde. Ich lernte nach innen zu lauschen und entdeckte eine neue Art der Wahrnehmung.

 

Meine Herausforderung lag in der Langsamkeit und Stille. Die Belohnung dafür war mehr Tiefe und Intensität. Ich bewegte mich im Einklang mit meinem Körper und konnte alle meine Eigenschaften, die mich als individuelles Wesen ausmachen, integrieren.

 

Yoga ist weit mehr als nur eine körperliche Aktivität; es ist ein ganzheitliches Prinzip, das alle Aspekte unseres Daseins anspricht, den Körper, den Atem, den Geist und die Gefühlswelt. In der Praxis des Yoga nehmen asana einen zentralen Platz ein. Doch was macht die Qualität der asana aus?

Ein kleiner Rückblick

Vor ungefähr zweitausend Jahren hat ein indischer Gelehrter namens Patanjali in seinem Werk, dem „Patanjali Yogasutra“, die wichtigsten Grundsätze des Yoga, in kurzen Merkversen, zusammengefasst. Dieser Leitfaden bildet bis heute die Basis für unsere moderne Yogapraxis. Es sind darin keine Körperübungen zu finden, so wie wir sie heutzutage kennen (bis auf eine: asana bedeutet wörtlich übersetzt Sitzhaltung), sondern vielmehr Qualitäten, die unsere Praxis inspirieren und befruchten und sie letztendlich zu Yoga machen.

 

Patanjali definiert das Ziel von Yoga folgendermaßen:

 

„yogas citta-vṛtti-nirodhaḥ“

Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedankenbewegung. 1.2

 

Alle Yogaübungen dienen diesem Ziel, nämlich unseren Alltagsgeist zu beruhigen und unsere Wahrnehmung zu vertiefen.

 

Patnajalis Yogaleitfaden umfasst vier Kapitel mit hundertvierundneunzig Versen, drei davon widmet er den asana:

 

„sthira-sukham asanam“

Die Sitzhaltung sei fest und angenehm. 2.46

 

„prayatna-saithilya-ananta-samapattibhyam“

Dies gelingt durch das Schwinden der Anstrengung und durch Versenkung in das Unendliche. 2.47

 

„tato dvandva-anabhighatah“

Von da her entsteht das Nicht-Gestört-Werden durch die Gegensätze. 2.48

 

Frei übersetzt: Die ideale Haltung - oder auch Bewegung - zeichnet sich durch Stabilität und Leichtigkeit aus. Durch das regelmäßige Üben verschwindet die Anstrengung und es entsteht ein Gefühl von Mühelosigkeit und Weite. Die polaren Kräfte verlieren ihre Wirkung und wir finden einen Zustand des Gleichgewichts.

 

Oder wie es eine meiner Yogaschülerinnen, nach ihrer vierten Einzelstunde, beschrieb: "Ich spüre mehr Kraft in meinem Körper, so als ob meine Körperhülle mehr Stabilität hat und trotzdem fühlt sich innerlich alles ganz weit und entspannt an."

 

Also, es geht bei den asana nicht nur um die äußere Form, sondern vor allem um das innere Erleben.

Die äußere Form

Es ist leicht, sich in der äußeren Perfektion der asana zu verlieren. Bilder von scheinbar mühelosen Yogaposen schmücken Magazine und Social-Media-Feeds. Die Herausforderung besteht darin, sich von diesen Bildern zu lösen und in Kontakt mit dem eigenen Körper zu kommen, um herauszufinden, was er wirklich braucht. Entscheidend ist die korrekte Ausrichtung des Körpers in einem asana, um Verletzungen zu vermeiden und die Energieflüsse zu unterstützen. Ein gutes Alignment fördert auch die Balance und Stabilität, was wiederum die Körperwahrnehmung und Konzentration verbessert.

Die innere Haltung

Jedes asana hat eine bestimmte Qualität, das es auszeichnet und charakterisiert. Das Schöne dabei ist, dass es für jeden Körper eine passende Variante gibt. Beim Yoga steht der Mensch im Mittelpunkt und das asana passt sich an.

 

Die Qualität der Körperübung wird von der inneren Haltung beeinflusst: Kann mein Atem frei fließen? Kommt mein Geist zur Ruhe und kann ich die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment richten? Diese inneren Aspekte spielen eine zentrale Rolle.

Yoga als Selbstbegegnung

In der Yogapraxis geht es darum, sich selbst zu begegnen - körperlich, geistig und emotional. Die asana dienen als Werkzeuge, um diese Begegnung zu erleichtern. Wenn wir uns in einem asana befinden, haben wir die Möglichkeit, uns bewusst zu werden, wie unser Körper sich anfühlt, welche Gedanken kommen und gehen und welche Emotionen auftauchen. Die Qualität eines asana offenbart sich in dem Maße, wie wir uns selbst betrachten und akzeptieren, möglichst ohne Urteil oder Erwartungen.

Die Reise zur inneren Ausrichtung

Die asana laden uns zu einer Selbstforschungsreise ein, bei der wir uns immer wieder mit neuen Herausforderungen und Erkenntnissen konfrontiert sehen. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, präsent zu sein, eine wertschätzende Beziehung zu sich selbst zu pflegen, die Praxis bei Bedarf anzupassen und sich selbst immer wieder neu auszurichten.

 

Indem wir uns bewusst auf diese Aspekte einlassen, können wir die wahre Essenz von Yoga entdecken - eine Praxis, die uns dabei unterstützt, körperliche Gesundheit, geistige Klarheit, emotionale Ausgeglichenheit und inneres Wachstum zu kultivieren.


Bild: www.baschibender.de

 

Literatur:

Maldoner, Helmuth: Der Yogaleitfaden des Patañjali: Raja Verlag 2007

Sriram, R.: Patañjali - Das Yogasutra: Theseus Verlag 2006

 

Buchempfehlung für Yoga Neulinge:

Trökes, Anna: Das große Yogabuch: Gräfe und Unzer Verlag