Yoga ist politisch

Wie wir yogische Werte in gesellschaftliches Engagement umsetzen können

Text: Lisa Crone

Veröffentlicht im Deutschen Yoga-Forum Heft 6/2024

Die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stecken mir noch buchstäblich in den Knochen. Wenn ich an die momentane politische Entwicklung denke, wird mein Herz schwer, mein Körper spannt sich an, Angst macht sich breit. Ich mache mir Sorgen um meine afrodeutschen Geschwister, um meine Freunde, um die Zukunft meiner Kinder.

 

Tief ein- und ausatmen, sage ich zu mir. Zuversichtlich bleiben. Dann denke ich an den Satz, den ich vor einiger Zeit von Luisa Neubauer in einem Interview gehört habe: Hoffnung muss man sich erarbeiten. Ja, die Zeiten, in denen wir unbeteiligt das politische Geschehen am Bildschirm verfolgt haben, sind vorbei. Spätestens jetzt sind wir alle gefragt, unsere Komfortzone zu verlassen und im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv zu werden.

 

Es stimmt mich traurig, wenn ich sehe, wie viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Ich bin enttäuscht von den demokratischen Parteien, die es versäumt haben, sich den Themen der jungen Generation anzunehmen. (1) Nach der Pandemie hätten sie es mehr als verdient gehabt, dass die Politik sich ihren Bedürfnissen zuwendet. Stattdessen bleiben wichtige Investitionen in Schulen, Bildung, Jugendarbeit und Klimaschutz nach wie vor aus, Versprechungen werden nicht eingehalten. (2) Das frustriert und enttäuscht auch mich, als Mutter von zwei Töchtern im Teenageralter. Dort, wo die demokratischen Parteien sich nicht kümmern, besetzt nun die AfD die Räume der Jugendlichen, was man auf Social Media und in ländlichen Regionen in Ostdeutschland beobachten kann, eindrücklich dokumentiert im Reportage-Podcast „Springerstiefel – die 90er sind zurück“ (3), der unter anderem der Frage nachgeht, warum so viele Jugendliche, und insbesondere junge Männer, wieder rechtsextrem werden.

Was das alles mit Yoga zu tun hat

Yoga ist Fürsorge - für uns selbst, für unsere Beziehungen und Gemeinschaften in denen wir leben. Wenn wir Yoga als spirituelle Praxis ernst nehmen, bedeutet das auch, die yama und niyama und Werte wie ahimsa, das Nicht-Verletzen, karuna, das Mitgefühl und maitri, die liebende Güte, in einem größeren Kontext zu sehen. Yoga bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen und sich zu kümmern.

 

Die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli beschreibt in ihrem lesenswerten Roman „Die Republik der Frauen“ (4), wie geringschätzig mit vermeintlich weiblichen Tugenden, wie der Fürsorge, in unseren patriarchal geprägten Gesellschaften umgegangen wird. Wo es doch gerade das ist, was wir auch in der Politik dringend bräuchten. Eine Politik, bei der das Wohl aller Menschen im Fokus steht. Bei der wir interessiert und zugewandt miteinander umgehen, um Lösungen zu finden, die niemanden zurücklassen und auch diejenigen berücksichtigen, die strukturelle Nachteile und damit weniger Möglichkeiten haben, gehört und gesehen zu werden. Das Ziel der Frauenregierung in Gioconda Bellis Geschichte ist, die Erfahrung der Fürsorge zu verbreiten.

 

Es braucht die Stärkung der fürsorglichen, empathischen Energie, die die Grundlage dafür bildet, sich unterschiedlichen Lebenswelten zu öffnen, um dann Lösungsstrategien zu entwickeln, die allen zugutekommen und nicht nur denjenigen, die die nötige Macht, Zugänge und Lobby haben. Das Machtungleichgewicht zwischen Erwachsenen und Kindern und die damit einhergehende Diskriminierung von jüngeren Menschen wird Adultismus genannt. Leider gibt es viele verschiedene Diskriminierungsformen in unseren Gemeinschaften, wie zum Beispiel Sexismus, Rassismus, Klassismus und Ableismus, manche Menschen sind von mehr als einer betroffen (Intersektionalität). Um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, brauchen wir Qualitäten, die wir im Yoga lernen und üben: Bewusstseinsschulung, Selbststudium, das manchmal auch ungemütlich ist, Mitgefühl und liebende Güte. Denn Demokratie bedeutet gemeinsam zu entscheiden, wie wir leben wollen und deshalb ist es wichtig, gerade die Gruppen zu unterstützen und zu beteiligen, die weniger Macht und Zugänge haben, wie zum Beispiel auch unsere Kinder.

„Sawubona! Ich sehe dich!“

Die südafrikanische Begrüßung „Sawubona – Ich sehe dich“ stammt aus der Zulu-Kultur. Es geht dabei nicht nur um das physische Sehen, sondern vielmehr um ein tiefes Erkennen der Existenz, der Person und ihres inneren Wesens. Es drückt aus: „Ich nehme dich in deiner Gesamtheit wahr. Ich sehe, wer du bist, mit deinen Emotionen, Bedürfnissen, Stärken und Schwächen und ich sehe deinen Wert als Mensch.“ Es ist eine Einladung aufeinander zuzugehen und zu versuchen das Innere des Gegenübers nachzuempfinden und wahrzunehmen. Es ist die Basis für ein gleichberechtigtes Zusammenleben und eine Praxis der Fürsorge. Wir sind erst frei von Leid, wenn es die anderen auch sind, weil das feine Netz des Lebens uns alle miteinander verbindet. So lehrt es die tantrische Philosophie und so bringt es auch die südafrikanische Lebensphilosophie Ubuntu auf den Punkt: I am because you are. Ubuntu bedeutet so viel wie „Menschlichkeit“ oder „Verbundenheit“ und steht für das Verständnis, dass wir durch andere Menschen existieren. Ubuntu betont, dass das menschliche Leben auf Beziehungen, Anerkennung und wechselseitiger Unterstützung basiert. Mit „Sawubona“ wird also ausgedrückt, dass man den anderen Menschen vollständig anerkennt und respektiert. Die übliche Antwort auf „Sawubona“ ist „Jewo Sawubona - Ja, ich sehe dich auch“. Dies stellt sicher, dass beide Personen sich gegenseitig als wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft anerkennen. So erleben wir auf dieser Welt mehr Vielfalt, Liebe und Verbundenheit. Es entsteht mehr Raum für Mitgefühl und Empathie und wir behandeln unsere Mitmenschen automatisch besser. (5)

 

Aus tantrischer Sicht, ist alles eine Form von Energie, die wir uns bewusst machen, lenken und umwandeln können. Es liegt an unserem aktiven Handeln, destruktive Energien zu erkennen und in konstruktive umzuwandeln. Rechtsextreme und patriarchale Kräfte werden immer stärker. Wir sollten uns diesen gesellschaftlichen Problemen auch als Yogalehrende stellen. Yoga ist keine passive Praxis. Werte der Fürsorge, wie ahimsa, karuna und maitri, vermehren sich nur und können nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn wir sie in unseren Gemeinschaften pflegen. Yoga findet jetzt und in jedem Augenblick statt.

 

Deshalb lasst uns gut füreinander sorgen. Lasst uns yogische Werte als gelebte Solidarität in unsere gesellschaftlichen Strukturen hinaustragen. Wehren wir uns gegen Strömungen, die diese Werte mit Füßen treten, in dem wir selbst aktiv werden, uns gegen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit positionieren, Betroffenen beistehen oder auch Menschen, Parteien und Organisationen unterstützen, die sich für Gerechtigkeit, eine starke Zivilgesellschaft und demokratische Werte einsetzen.

Unterstützenswerte Organisationen (eine kleine Auswahl):

Polylux: www.polylux.network

Das Netzwerk Polylux unterstützt Vereine, Initiativen und Projekte der kritischen Zivilgesellschaft in Ostdeutschland vor Ort und finanziell durch Fördermitgliedschaften.

 

Krisenchat: www.krisenchat.de

Diese von jungen Menschen in der Corona-Pandemie gegründete Initiative, berät junge Leute unter 25 bei ihren Sorgen und Problemen rund um die Uhr, kostenlos und vertraulich per Chat.

 

Brand New Bundestag: www. brandnewbundestag.de

BNB unterstützt u.a. Menschen, die mit progressiven Ideen frischen Wind in die Parlamente bringen wollen, bei ihrem Weg in politische Ämter. Dabei legen sie einen besonderen Fokus auf Menschen, die in der Politik bislang kaum repräsentiert werden.

 

SOS-Humanity: www. sos-humanity.org

Zivile Seenotrettung im Mittelmeer, die sich dafür einsetzt, dass kein Mensch auf der Flucht ertrinken muss.


Bild: Mika Baumeister | unsplash.com

Literatur & Quellen