Das Prinzip der nadi und die Wechselatmung

Text: Lisa Crone

Die nadi (Kanal, Gefäß, Ader, Fluss) sind Teil des feinstoffliche Energiekonzeptes im Hatha Yoga. Laut den Yogaschriften, durchziehen diese feinen Energiekanäle den ganzen Körper und versorgen ihn mit prana (Lebensenergie), ähnlich dem Prinzip der Meridiane in der Traditionellen Chinesischen Medizin.

 

Es wird angenommen, dass es Zehntausende nadi gibt. Die Zahlen schwanken allerdings, je nach traditioneller Schrift. Drei werden als besonders wichtig angesehen: ida, pingala und sushumna.

  • Ida verläuft entlang der linken Seite der Wirbelsäule, vom linken Nasenloch bis zu dem am Beckenboden liegenden Knotenpunkt kanda (Wurzelknolle, Zwiebel). Ida wird dem Mond zugeordnet und steht für die kühlenden, introvertierten und ruhigen Aspekte in uns.
  • Pingala verläuft entlang der rechten Seite der Wirbelsäule, vom rechten Nasenloch ebenfalls zum kanda am Beckenboden. Pingala wird der Sonne zugeordnet und steht für die wärmenden, extrovertierten und aktiven Anteile in uns.
  • Sushumna ist der Hauptenergiekanal, der entlang der Wirbelsäule verläuft und vom Beckenboden bis zum Scheitelpunkt des Kopfes reicht. Er verbindet alle chakra (subtilen Energiezentren) miteinander.

Die Aktivierung und Ausbalancierung der nadi ist Ziel verschiedener Yogapraktiken. Durch Atemtechniken (pranayama), Reinigungsübungen (kriya), Körperhaltungen (asana) und Meditation (dhyana) wird angestrebt, die Energie in den nadi zu aktivieren und den Fluss von prana im Körper zu harmonisieren. Die Reinigung und Aktivierung dieser Energiekanäle, werden als wesentlich für die Förderung von Gesundheit, Wohlbefinden und innerem Wachstum angesehen. Die Lebensenergie kann wieder frei fließen und Blockaden auf körperlicher, geistiger und psychischer Ebene können sich lösen.

 

Im Yoga wird davon ausgegangen, dass der Atem das Transportmittel der feinstofflichen Lebensenergie prana ist, was am Beispiel der Atemtechnik nadi-shodhana erkennbar wird (shodhana = Reinigung).


Nadi-shodhana - Die Wechselatmung

Nadi-shodhana, auch bekannt als Wechselatmung, ist eine grundlegende Atemübung im Yoga, die dazu dient, eine gleichmäßige Atmung zu etablieren, den Geist zu beruhigen und den gesamten Energiefluss im Körper zu harmonisieren.

Wie funktioniert die Praxis?

Bei nadi-shodhana atmest Du immer im Wechsel über die linke oder rechte Nasenöffnung ein und aus und verschließt mit den Fingern das jeweilige Nasenloch. Ziel ist ein vertiefter und entspannter Atemfluss.

Auf der Yogamatte


  • Setze Dich in eine bequeme Position, entweder im Schneider- oder Fersensitz (bei Bedarf mit Sitzkissen) oder auf einen Stuhl. Achte darauf, dass Deine Wirbelsäule verlängert ist und schließe Deine Augen. Die Bauchdecke sanft tonisieren und Deine Schultern entspannt nach unten sinken lassen.
  • Forme mit Deiner Hand vishnu-mudra: Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand werden zur Handinnenfläche nach innen gebeugt, kleiner Finger, Ringfinger und Daumen werden abgespreizt (siehe Foto).
  • Lege die Fingerkuppen von Daumen und Ringfinger vorbereitend sanft auf den Nasenrücken, der rechte Arm liegt entspannt am Oberkörper an. Lege Deine linke Hand entspannt auf den Oberschenkel.
  • Verschließe nun mit dem Daumen sanft die rechte Nasenöffnung, ein leichter Druck ist völlig ausreichend. Atme über links ein, danach mit dem Ringfinger die linke Nasenöffnung sanft verschließen und rechts ausatmen, rechts direkt wieder einatmen, rechts verschließen und links ausatmen. Das ist eine Runde nadi-shodhana. Wiederhole mehrere Runden in Deinem Atemrhythmus.
  • Lass den Atem lang (dirgha) und fein (sukshma) werden, so dass er immer geräuschloser und subtiler wird.
  • Wenn Du Dich wohl mit der Übung fühlst, kannst Du weiterführend zu den Übergängen spüren: kleine angenehme Pausen zwischen Ein- und Ausatmung und zwischen Aus- und Einatmung entstehen lassen.

Wenn die Nase nicht ganz frei ist oder Atemhunger entsteht, die Nasenöffnungen nur leicht verschließen oder mental üben, das bedeutet nur in Deiner Vorstellung die Wechselatmung durchführen, ohne die Nasenöffnungen aktiv mit den Fingern zu verschließen. Das wirkt genauso gut. ;)


Mögliche Wirkungsweisen

  • Beruhigung des Geistes: Durch das bewusste und gleichmäßige Atmen, beruhigt und festigt sich der Geist. Das unterstützt die Konzentrationsfähigkeit und sorgt für Ruhe, Klarheit und Ausgeglichenheit.
  • Regulierung von Gefühlen: Die Wechselatmung kann dabei helfen, starke Emotionen wie Angst, Nervosität und innere Unruhe zu reduzieren. Durch die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems, trägt sie dazu bei, den Körper aus dem Zustand der "Kampf-oder-Flucht" Reaktion zu holen und stattdessen Entspannung und Zentrierung zu fördern.
  • Positive Wirkungen auf zentrale physiologische Vorgänge: Durch die tiefe und bewusste Atmung wird die Sauerstoffversorgung verbessert, was sich positiv auf den Stoffwechsel, das Herz-Kreislaufsystem, Verdauung und die inneren Organe auswirkt.
  • Bessere Schlafqualität: Eine regelmäßige Praxis der Wechselatmung vor dem Schlafengehen, kann dazu beitragen, den Geist von kreisenden Gedanken zu befreien, und durch die beruhigende Wirkung auf den Körper, einen erholsamen Schlaf zu ermöglichen.
  • Harmonisierung der Nasenschleimhaut: Die Wechselatmung unterstützt das Gleichgewicht der Nasenschleimhäute, deshalb kann sie, bei längerem Üben, im Frühstadium von Schnupfen oder bei allergischen Reaktionen (z.B. Heuschnupfen) lindernd wirken.
  • Vorbereitung für die Meditation: Nadi- shodhana ist, durch die bereits oben genannten beruhigenden und klärenden Wirkungen, eine ideale Vorbereitung für die Meditation.

Bitte beachte, dass die individuellen Erfahrungen mit der Wechselatmung variieren können und dass diese Atemübung keinen Ersatz für medizinische oder psychotherapeutische Behandlungen darstellt.


Mögliche Handhaltungen

Die klassische Variante, vishnu-mudra, symbolisiert das universelle Gleichgewicht, die Friedfertigkeit und Ruhe.


Bei dieser Variante werden Zeige- und Mittelfinger auf die Stirn gelegt. Dort sitzt das "Dritte Auge", das ajna-chakra, wo laut den Yogaschriften das Energiefeld der (Selbst-)Erkenntnis ruht, was zuständig ist für Klarheit, Beruhigung der Emotionen, Weisheit und Intuition.

Dort sitzt auch unser Präfrontaler Cortex, wo sensorische Informationen zusammenlaufen, entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert werden.


Diese Variante wird beim Kinderyoga verwendet, dabei verschließt Du sanft, mit dem Daumen oder Zeigefinger, die jeweilige Nasenöffnung von unten.



In manchen Traditionen wird die Wechselatmung auch „anuloma viloma“ genannt, was soviel heißt wie, „mit dem Strich und gegen den Strich“.


Bilder: Oliver Wieland

 

Literatur zum Nachlesen:

BDYoga e.V. (Hrsg.): Der Weg des Yoga, Handbuch für Übende und Lehrende: Vianova Verlag 2007

Trökes, Anna: Das große Yogabuch: Gräfe und Unzer Verlag 2010

Iyengar, B.K.S.: Licht auf Pranayama: Das grundlegende Lehrbuch der Atemschule des Yoga: O.W. Barth Verlag 2008